Zahnärztliche Akademie

Zwei Ausbildungswege – ein Beruf Zeitzeugeninterviews dentistisch ausgebildeter Zahnärzte zu ihrem Ausbildungsweg und ihrer beruflichen Situation um 1952

Dr. Christiane Martina Schnell, M. A.
Die Schlussfolgerungen, die man aus einem historischen  abgeschlossenen Kapitel unseres Berufstandes ziehen kann, sind für die aktuellen Auseinandersetzungen mit der Politik und hier auch besonders mit den finanziellen Aspekten des Gesundheitssektors und auch innerhalb der eigenen Profession hilfreich.
Die akademische Zahnheilkunde entwickelt sich aus einem Unterzweig der allgemeinen Chirurgie. In den letzten 170 Jahren versuchten zuerst einzelne Personen, und später der gesamte Berufszweig, sie als Bestandteil der Medizin zu etablieren. Wie konnte dies bei den beschriebenen Schwierigkeiten von vielen Seiten überhaupt gelingen?  
Die Zahnheilkunde, von etwas anderem konnte man auch noch Mitte des 19. Jahrhunderts nicht sprechen, nahm die rasante Entwicklung in Medizin, Technik und Wissenschaft auf und formte daraus das Konzept, dass sämtliche ärztlichen Eingriffe im Zahn-, Mund- und Kieferbereich durch einen einzigen Spezialisten behandelt werden sollten. Dies war ein gänzlich neuer Gedanke, der, wie aus dem historischen Kontext zu entnehmen ist, die Abschaffung der jahrhunderte langen Tradition der Zersplitterung dieses Gebietes auf verschiedene Berufszweige, auf die Innere mit der pharmakologischen Therapie, auf die Chirurgie und auf das Herstellen des Zahnersatzes, bedeutet. So konnte aus diesem Zusammenfassen bedingt durch die historische Situation, in der so viel Neues entstand, die Zahnmedizin entstehen, die auf den Grundlagen der Medizin therapierte. Dies war aber eine stürmische Entwicklung bis zum Anfang des 20. Jahrhunderts und kam mit der Möglichkeit zu Dissertation und Habilitation zu einem ersten, aber nur vorläufigen Abschluss. Von Anfang an war die Nähe zur Medizin eine unabdingbare Voraussetzung für den neu entstehenden Beruf. Genauso wichtig waren auch die Wissenschaftlichkeit in der Ausbildung und eigene fachbezogene Forschung. Integrale Bestandteile, der noch nicht überall angeglichenen Studienordnungen, waren Materialkunde mit Metallurgie, Technik, medizinischer Fächer, aber eben auch Ethik und Geschichte der Medizin/Zahnmedizin. Ein Konzept, das in Variation bis heute noch aktuell ist, bis auf die Ausnahme, dass weder die Ethik, noch die medizinische Geschichte für die Ausbildung heute für relevant erachtet wird und die medizinischen Fächer zu wenig Beachtung finden. Dies stellt einen großen Fehler dar, wie ich meine. Zwar hat die Fixierung auf die allgemeine Medizin mit Teilbereichen wie Gynäkologie oder Hauterkrankungen die Besonderheiten, die in der Mundhöhle herrschen und deren physiologische und anatomische Gegebenheiten lange nicht genügend berücksichtigt, aber ein vernetztes Denken von zahnmedizinischen mit medizinischen Probleme wurde auch nicht ausgebildet, wie die Ausgrenzung der Bereiche der Psychosomatik oder der Schmerztherapie zeigt.
Mit zunehmenden Schwierigkeiten musste der noch nicht konsolidierte junge Zweig der Medizin durch die Kurierfreiheit und dem dadurch entstehenden Dentistenstand kämpfen.
Die aus straff geführten handwerklichen Gildeberufen entstandenen zahntechnischen Berufe, die später Dentisten genannt wurden, hatten ein Konzept, um Patienten zu behandeln. Ihr Schwerpunkt lag auf der Zahntechnik. Sie stellten den Zahnersatz her und setzten diesen den Patienten ein. Sie versuchten also den gesamten Herstellungsprozess bis zum Einsetzen in den Mund, in einer Hand zu vereinen. Sie legten besonderes Gewicht auf ihr handwerkliches Tun. Dieses Konzept wurde aber durch die rasante Entwicklung der Zahntechnik und der Zahnmedizin in den Jahren des Bestehens dieses Berufsstandes bis zu dessen Ende 1952 immer unpraktikabler.
erschwerend kam hinzu, dass sie auf ihren handwerklichen Wurzeln bestanden und nicht die manuelle Ausführung einer medizinischen Dienstleitung als Denkansatz in Betracht zogen und damit jede Nähe ihres Tätigkeitsfeldes zur Medizin negierten. Am Anfang des Berufstandes musste fas nur die Extraktion in dieses Konzept eingefügt werden. Mit der zeit entwickelte sich aber die Zahnerhaltung und mit ihr die Endodontie und Parodontologie, sowie die Prophylaxe immer weiter und wurden Bestandteil der Behandlung immer breiterer Bevölkerungsschichten. Der Schwerpunkt für Dentisten blieb aber ausbildungsmäßig weiter die Zahntechnik. Dass die Prothetik nun nicht länger Zahnersatz-Technik, sondern zur therapeutischen Prothetik geworden war und die Funktion jetzt im Vordergrund stand, hatten sie gedanklich nicht in ihr Ausbildungskonzept eingefügt (Leutke 1937). Noch 1951 wurden die angehenden Dentisten über 5 Jahre alleine in der Zahntechnik ausgebildet und nur ein Jahr nochmals in Zahntechnik und allen weiteren Teilbereichen der Zahnmedizin einschließlich der Prothetik. Die Schwerpunkte der Ausbildung wurden während ihres Bestehens zu wenig verschoben und den neuen Zeiten zu wenig angepasst. Das war auch nicht möglich, da sie ihre Wurzeln überbetonten und die Neuerungen nur mäßig eingliederten. Das Konzept hätte sich sonst der akademischen Ausbildung mit der Gleichbewertung aller Teilbereiche der Zahnmedizin zu sehr genähert. Sehr gut kommt dabei die Studie von Frau Luft zum Ausdruck, wie die mangelnden schulischen Voraussetzungen ein Hemmschuh bildeten. Die fehlende Wissenschaftlichkeit wurde, wie oben bereits erwähnt von den Dentisten auch selbst  formuliert. Wie von Herrn Dentist Bielert zu dem Zusammenschluss beschrieben, trieben nicht die wirtschaftlichen und nicht einmal vorrangig politischen Gründe die Beseitigung des Dualismus voran, sondern andere Faktoren.
Das Konzept, dass der gesamte Arbeitsablauf der Herstellung des Zahnersatzes in einer Hand lagen (Produktionstiefe), geriet von zwei Seiten unter Beschuss. Auf der einen Seite hatte sich bereits eine hoch spezialisierte Zahntechnik mit eigenem Meistertitel etablieren können. Durch ein Vorgespräch mit einem Interviewpartner wurde meine Aufmerksamkeit auf die Tatsache gelenkt, dass dieser bei einem ganz ausgezeichneten Dentisten mit einem wohlhabenden Patientenstamm in einem großen Praxislabor die Lehre beendete. Die angehenden Dentistenassistenten sollten möglichst alle einen Lehrvertrag bei einem Dentisten abschließen, wie Frau Luft schreibt. Der Interviewte hob hervor, dass in diesem Labor bereits Stahlguss, sowie Jacketkronen und andere Dinge mit modernen Materialien, wie Kunststoffen statt Kautschuk, hergestellt wurden. Durch die anschließende Nachfrage in den anderen Interviews wurde deutlich, dass die restlichen von mir interviewten Kollegen nicht mit diesem Standard ausgebildet worden waren. So war die zahntechnische Ausbildung der Dentisten von der allgemeinen Zahntechnik bereits abgekoppelt. Viel Geld für zahntechnische Geräte hätte für Praxislabors sonst ausgegeben werden müssen. Auf der anderen Seite nahm eben auch die Zahnmedizin ihre stürmische Entwicklung, die in der kurzen Institutszeit nicht mehr zu bewältigen war. So hatte diese starre Ausbildungsordnung nur geringe Zukunftschancen. Wahrscheinlich hatte dieses Ausbildungssystem nur so lange überlebt, da es insgesamt hochwertig war und zudem die Zeiten in denen die Dentisten erfolgreich waren 2 Weltkriege – das bedeutet, dass die Zahnärzte zur Versorgung von Kriegsverletzten herangezogen wurden – und ein totalitäres System mit wirtschaftlich sehr schlechten Zeiten überspannte. Außerdem konnten die Dentisten mit ihrer guten Organisationsstruktur schnell auf politische Veränderungen reagieren.
Ein weiterer Faktor des langen Überlebens dieses Ausbildungsweges bestand auch darin, dass die Zahnärzte vor 1952 nicht bereit waren akzeptable Übernahmebedingungen für die bereits ausgebildeten Dentisten zu schaffen.

Trägt dieses Wissen etwas zur Lösung heutiger Probleme bei?
Eindeutig hilft das Wissen um die Vorgänge der Eingliederung der Dentisten für die momentan wieder schwierige Situation der Zahnmedizin im politischen und wirtschaftlichen Umfeld. Es gibt politische Bestrebungen einen kürzeren und nicht an einer wissenschaftlichen Hochschule ausgebildeten zahnärztlichen Berufszweig zu etablieren. Nach dem oben Dargestellten müsste ein solches Unterfangen im Interesse des Berufsstandes unbedingt verhindert werden, denn der gleiche Kreislauf wie schon einmal mit den Dentisten würde in Gang gesetzt werden. Ein schlechter ausgebildeter Berufszweig würde durch die Politik installiert werden, was unmittelbar ein geringeres Honorar für diese durch die Krankenkasse bedingen würde und die Krankenkassen würden diese Berufsgruppe gegen die Zahnärzte unterstützen.
Wieder würden Verteilungskämpfe dadurch entstehen und Kräfte binden, die für wichtigeres nötig wären. Die Ausübung der Zahnmedizin würde in verschiedene Gruppen zersplittert werden und damit deren politischer Einfluss sinken, denn gerade starke standespolitisch tätige Verbände werden als Grund für die Entwicklung der Zahnheilkunde überhaupt angesehen (Gross 2006c). Die politischen Institutionen hätten ein Leichtes die Gruppen gegeneinander auszuspielen. Mit sinkender Wissenschaftlichkeit käme zudem ein Grundpfeiler der modernen Zahnmedizin ins Wanken.
Aufgrund derselben Argumentation sollte man die Zersplitterung innerhalb der Zahnmedizin in mehrere Fachbereiche mit Fachzahnärzten genau überprüfen.
Wieder entstände die Möglichkeit für politische Kreise oder die Krankenkassen, einen einzelnen Bereich davon zu unterstützen und die sehr kleinen Einzelbereiche einfach gegeneinander auszuspielen. So sehr die Universitäten auch dafür eintreten, dass ihre Mitarbeiter sich weiter spezialisieren können, sollte man im Voraus die dann sicher auftretenden Situationen genau bedenken. Man kann an der momentanen Gesundheitspolitik erkennen, wie im allgemeinmedizinischen Bereich einzelne viel größere und für die Patientenversorgung auch wichtigere Fachbereiche aus wirtschaftlichen Gründen unterschiedlich behandelt werden. Die Gesundheitspolitik ist in einem so hoch industrialisierten und mit wachsendem Dienstleistungssektor versehenen Staat wie Deutschland von höchster Wichtigkeit für die Politik. So wird mit nur wenig Rücksicht auf keine Verbände die von ihr definierte Zielsetzung für die Allgemeinheit durchgesetzt. Von den Dentisten kann man hierin lernen, wie ein nach außen einheitliches Auftreten in dem gesellschaftlichen Umfeld von Vorteil ist.
Die zweite Schlussfolgerung, die man aus dem Kampf um die Vereinheitlichung der zahnmedizinischen Ausbildung zeihen sollte, ist das Vorbildungs- und Ausbildungsniveau hochzuhalten beziehungsweise zu erhöhen. Wie beschrieben bildete die zum Teil unzulängliche Vorbildung der Auszubildenden in der Dentistik ein Problem. Dies minimiert eindeutig die möglichen Anforderungen an die Wissenschaftlichkeit in Ausbildung und Fortbildung, da auf schlechtem Fundament keine hochwertige weitere Ausbildung erfolgen kann. Demnach sollte die in der gegenwärtigen Diskussion vorgeschlagene Herabsetzung der schulischen Voraussetzung im ärztlichen Bereich vehement abgelehnt werden. Weder der Profession noch der Qualität der Patientenbehandlung wäre dadurch gedient. Die Zahnärzteschaft hat hier aufgrund ihrer Geschichte genug Erfahrung, um dieses Ansinnen verhindern zu wollen.
Ein Blich in die heutigen Zeitungen verdeutlicht die laufenden Diskussionen im Gesundheitssektor bezogen auf Einflüsse durch Politik, durch Rationierungen wegen der beschränkten ökonomischen Mittel und durch Krankenkassen. Um eine unsere zahnärztliche Zukunft sichernde Position in der Standespolitik einzunehmen, wäre es von Vorteil die Geschichte des Dualismus und seines Entstehens zu kennen. Vielleicht könnten Fehler vermeiden werden, die die Vergangenheit so schwierig gestalteten und in der Zukunft die gleichen Probleme wieder bereiten würden. Das Motto über diesem Ausblick für Zahnmedizin ist durch die eigene Geschichte einmal bestätigt worden, auf ein weiteres mal könnten wir eigentlich verzichten.

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