Zahnärztliche Akademie

Das Anforderungsprofil von Richtern in Baden-Württemberg an das zahnärztliche Sahverständigengutachten im Arzthaftungsprozeß

Wolfram Uhrig M.A.

Nachdem erst im Jahr 1996 von der Landeszahnärztekammer Baden-Württemberg eine Gutachterordnung beschlossen wurde, die in der Fassung vom 15.1.2004 vorliegt, ist die Zahl der Arzthaftungsprozesse weiter gestiegen. Vor dem Jahr 1996 gab es in Baden-Württemberg natürlich auch ohne Zivilprozesse, deren Häufigkeit jedoch nach Ansicht der LZK noch nicht Handlungsbedarf zeitigten oder einer Regelung bedurften. Aufgrund zunehmender Klagen gegen Zahnärzte, die angestrengt wurden, nachdem die sozialrechtliche Gewährleistungspflicht von zwei Jahren abgelaufen war, geriet die LZK unter Handlungszwang, auch um sich im Gutachterwesen von den damals vier Kassenzahnärztlichen Vereinigungen des Landes abzugrenzen, da die Bedingungen der vor allen Dingen auf Wirtschaftlichkeitsfragen ausgerichteten KZV-Gutachter anders wahrgenommen und beurteilt wurden als die, die ein Sachverständiger zu erfüllen hat, wenn er einen Regelverstoß oder eine Komplikation zu beurteilen hat.

Grundsätzlich hat ein Zahnarzt ein Haftungsrisiko über dreißig Jahre, wenn er sich einen Regelverstoß oder einen Planungsfehler zuschulden kommen läßt. Das bedeutet, daß ein Patient selbst aus anscheinend richtigem Anlaß noch lange - bis zu dreißig Jahren - ein Zivilgericht anrufen kann. Da die meisten Patienten Mitglied einer Gesetzlichen Krankenversicherung sind, landen viele Verfahren nach einer Mängelrüge zunächst einmal bei einem von Krankenkassen und KZV einvernehmlich bestellten Gutachter, nach Einspruch durch eine Partei bei Obergutachter (VdAK) oder Prothetikeinigungsausschuß (PEA) bei den sogenannten Primärkassen. Dies ist dann ein sozialgerichtliches Vorverfahren. Danach schließt sich das ordentliche Sozialgerichtsverfahren an. Dieses Verfahren endet aber nur mit den Sanktionen, die die Richtlinien und die Verträge zwischen gesetzlicher Krankenversicherung und Kassenzahnärztlicher Vereinigung vorgeben, also mit der Anordnung Honorar und andere Kosten zurückzuerstatten oder nicht. Da entweder die Zweijahresfrist abgelaufen ist oder der klagende Patient Schadensersatzansprüche, bzw. Schmerzensgeld beansprucht, kommt es immer öfter zu Zivilprozeß. In der vorgelegten Arbeit sollte untersucht werden, wie Richter aus dem Lande Baden-Württemberg die Gutachten zahnärztlicher Sachverständiger beurteilen, welche positive oder negative Kritik sie äußern und welche Begriffe einer inerprofessionellen Klärung bedürfen, um daraus abzuleiten, welches Anforderungsprofil die Richter entsprechend der Gesetzeslage fordern.

Im Einzelnen heißt das:

  1. Die Richter haben professionsbedingt die Inhalte der Zivilprozessordnung (§ 286 in Verbindung mit §§ 402 FF) verinnerlicht und wenden diese selbstverständlich an.
  2. Daraus folgt, daß das im Aufsatz der Frau Dr. Rumler-Detzel 1999 in der  Zeitschrift für Versicherungsrecht skizzierte Anforderungsprofil für den  Arzthaftungsprozeß von den Richtern berücksichtigt wird, bzw. inhaltlich  deckungsgleich ist.
  3. Die unterschiedliche Sichtweise von Richtern und zahnärztlichen Sach verständigen bei den Themenkreisen "Evidenz", "medizinisch/ärztlicher  Standard" gegenüber dem "Stand der Wissenschaft" bedarf auf jeden Fall  einer einvernehmlichen Zusammenführung. 
  4. Die gegensätzliche Bewertung von Literaturangaben im Gutachten ist darauf zurückzuführen, daß die Richter diese Literaturangaben sowieso nicht überprüfen,   da dies bedeuten würde, daß sie sich zahnmedizinisch über jedes vernünftige  Maß hinaus sachkundig machen müßten. Die zahnärztlichen Sachverständigen  haben jedoch - fern jeglicher Selbstdarstellung - ein vitales Interesse am  Nachweis, daß ihr Gutachten wissenschaftlich fundiert ist und mit der herrschenden  Meinung über das Bewährte und Erprobte übereinstimmt. Diese unterschiedliche Bewertung muß allerdings geklärt werden, damit die Richter die Angabe von  Literatur auch als Qualitätsmerkmal wahrnehmen und das Fehlen derselben gegebenenfalls als eitle "Eminenzbasierung" und nicht als wirklich fundierte  wissenschaftliche Äußerung erkennen.
  5. Es ist erkennbar, daß die Schwere eines mit lebenslanger Behinderung - man  denke an den Fall aus der Neotalogie unter 4.1 - oder gar Tod im  Zusammenhang mit ärztlicher Behandlung behafteten Arzthaftungsprozesses  für die Richter eine andere Bedeutung hat als die Klage eines Patienten, der sich  durch Absplitterung seiner schon lange inkoporierten metallkeramischen Brücke  geschädigt fühlt. Dies muß den zahnärztlichen Sachverständigen klargemacht werden,  falls sie sich dessen nicht bewußt sind.
  6. Die von U. Brauer in seiner Masterarbeit 2007 erarbeitete "Checkliste" für das  zahnärztliche Sachverständigengutachten ist eine Möglichkeit, diese Gutachten  insgesamt für alle am Zivilverfahren - sicher auch für alle anderen Verfahren im  Bereich der Zahnheilkunde - besser verständlich und schlüssiger zu machen.  Damit wäre ein erster Schritt in Richtung Qualitätssicherung bei Gutachten getan.
  7. Die Ergebnisse der vorliegenden Untersuchung können ein weiterer Schritt  in diese Richtung sein, um sowohl bei Zahnärzten als auch bei Richtern das  Bewußtsein für Wissenserweiterung und Qualitätsförderung zu schärfen.
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