Zahnärztliche Akademie

Der Einfluss des sozialen, kulturellen und ökonomischen Umfeldes auf die Tätigkeit des Zahnarztes in der Praxis

Dr. Barbara Wiest M.A., Sybille Preuß M.A.

Ist die gegenseitige Visitation ein sonnvolles Instrumentarium zu Verbesserung der Praxisführung? Der Personenkreis, für den eine Visitation sinnvoll erscheint, ist der Zahnarzt, der eine Einzelpraxis führt und diese Tätigkeit schon lange ausübt. Zahnärzte in Gemeinschaftspraxen und Kliniken befinden sich alleine durch die Organisationsform ihrer Berufausübung unter automatischer Beobachtung und im ständigen Vergleich.
Der Zahnarzt aber, der jahrzehntelang alleine gearbeitet hat, hat keine Möglichkeit mehr, sich in seinem Praxisalltag beobachten zu lassen. Außerdem ist eine Visitation nur dann sinnvoll, wenn der Zahnarzt seinen Beruf schon des längeren ausübt.
Ein junger Zahnarzt unterliegt ja in seiner Assistenzzeit einer ständigen Beobachtung und muss sein Handeln und Verhalten vom Praxisinhaber beurteilen lassen. Im eigenen Praxisaufbau erwirbt er dann seine Gruppe von Patienten – bedingt durch individuelle und sozioökonomische Hintergründe.
In einem jahrelangen Prozess formt er diese Patientengruppe und wird auch durch diese geformt. Dann erst kann er durch einen Blick von außen eingefahrene Arbeitsabläufe, Verhaltensmuster und Kommunikationsabläufe erkennen. Prämisse für eine ergebnisreiche Visitation sind Offenheit, Flexibilität und Kritikfähigkeit (Gadenne 2001). Der früher klischeehaft beschriebene "Halbgott in weiß" wird es nicht für nötig halten, seine Praxistätigkeit einer Prüfung zu unterziehen.
Für eine Visitation muss man bereit sein, sich in seinem zahnärztlichen Handeln und Verhalten in Frage stellen zu lassen. Die Kritik von einem gleich qualifizierten Kollegen, der den gleichen Praxisalltag bewältigen muss, kann emotional sehr tief gehen, in jedem Fall tiefer als die Kritik einer fachfremden Person. Dies setzt andererseits eine gewisse Selbstsicherheit voraus. So dürfen zwischen den beiden Partnern keine Konkurrenz- oder Neidgefühle entstehen.
Ein konkurrierender Vergleich wird sich aber in der Realität nie ganz ausschalten lassen. In seiner Tätigkeit geht ein Zahnarzt ja nie mit Menschen um, die sich fachlich auf gleicher Augenhöhe mit ihm befinden. Die Mitarbeiterinnen sind fachlich anders qualifiziert und in einem Abhängigkeitsverhältnis. Der Zahntechniker verdient seinen Lebensunterhalt nur, wenn die Zahnärzte die Patienten für ihn akquirieren.
Die Patienten erwarten Hilfe, und akzeptieren die fachliche Überlegenheit ihres frei gewählten Behandlers per se. So ist ein interessanter Aspekt 104 der Visitation eines Kollegen in Augenhöhe, ob sich Überlegens- oder Unterlegenheitsgefühle einstellen. Das Reflektieren dieses Gefühls dient, wenn man es zulässt, der Selbsterfahrung. Kann man sich durch Kritik in Frage stellen lassen oder wehrt man sie mit Hilfe eines Überlegenheitsgefühls von vornherein ab? Die Gefahr einer Rivalität war in unserem Falle zumindest dadurch minimiert, dass unsere Praxen räumlich sehr weit auseinander liegen.
Die Beobachterin muss aufmerksam und offen sein. Sie sollte ihre eigene Persönlichkeit und ihre persönlichen Erfahrungen möglichst zurücknehmen können. Es geht nicht darum, wer von beiden etwas besser macht, sondern ob und warum jemand etwas anders macht. Wir haben es beide als große Chance empfunden, unser Auftreten, unser Verhalten, unsere Körpersprache und unsere Sprechweise, wie z. B. gewisse sich wiederholende Formulierungen von der teilnehmenden Kollegin geschildert zu bekommen.

So wurden uns Signale, die wir unbewusst senden, zur Beurteilung dargeboten und eine Möglichkeit der Reflektion gegeben. - Schauen wir den Patienten in die Augen, wenn wir Ihnen unangenehme Wahrheiten sagen müssen? - Fragen wir sie bei geöffnetem Mund, so dass sie nicht antworten können? - Benutzen wir viele Konjunktive und vage Formulierungen? - Ist unsere Körperhaltung zugewandt? - Legen wir in der Gesprächssituation Wert auf gleiche Augenhöhe? - Lassen wir den Patienten aussprechen oder vollenden wir ihre Sätze? Als besonders positiv bewerten wir, dass die Beobachterin selbst auch Zahnärztin ist, ein berufsfremder Betriebsberater erkennt strukturelle Eigenheiten in der Praxisführung. Er kann z. B. die Mitarbeiterführung und Arbeitsabläufe in ihrer Effizienz beurteilen.
Ist die Beobachterin aber selbst Zahnärztin tritt das eigene Erleben in den Vordergrund. Sie wird, besonders in zahnarzttypischen Stresssituationen immer wieder auf die Frage treffen wie sie sich selbst in dieser Situation verhalten würde. So kann sie dann auch Verhaltensmuster besser einschätzen.
Diese Stresssituationen sind zum Beispiel: 105 Angstpatienten; mit der Behandlung unzufriedene Patienten; oder redselige Patienten bei vollem Wartezimmer.
Es war in unserem Falle von vornherein klar, dass die Beobachterin nicht besser qualifiziert ist, diese spezifischen immer wieder auftretenden Stresssituationen zu bewältigen. Aber die Analyse unseres, je nach Behandlerin mehr oder weniger, zwischen Empathie und Sachlichkeit oszillierenden Verhaltens diente der Selbsterkenntnis und konnte auch oft die Reaktion der Patienten auf unsere Vorschläge erklären. Auch in der Personalführung haben wir uns wertvolle Hinweise geben können: - Suchen sich alle Mitarbeiterinnen in Leerlaufzeiten eine sinnvolle Beschäftigung (reinigen, ordnen…)? - Wie ist der Umgangston untereinander? - Gibt es erkennbare Hierarchien unter den Mitarbeiterinnen?
Gerade wenn man schon sehr lange mit seinem Personal arbeitet stellt sich eine gewisse Betriebsblindheit ein. Es war erstaunlich wie sich das Bild, das sich die Forscherin von einer Mitarbeiterin macht, von dem der Praxisinhaberin unterscheiden kann. Unserer Meinung nach folgt auf eine Visitation und der sich anschließenden Diskussion immer eine Verhaltensänderung. Diese ist zum Teil zurückzuführen auf die direkte Aussprache mit der Kollegin, aber zum größten Teil darauf, dass man für sein eigenes Handeln und Verhalten während der Beobachtung einen Spiegel vorgehalten bekommt.
Nach der Visitation kontrolliert auch die Beobachterin ihre eigene Kommunikation viel genauer. Man ist sich seines Auftretens und der Wahl seiner Worte und Taten viel mehr bewusst. Für uns war es erstaunlich zu erleben, dass man auch nach jahrzehntelanger Praxistätigkeit eingeschliffene Routinen ändert oder zumindest zur Disposition stellt.
Frau Wiest in der Praxis München hat ihr Verhalten gegenüber den Mitarbeiterinnen überdacht. Sie gibt jetzt klarere Anweisungen und kontrolliert auch regelmäßig, ob diese ordentlich ausgeführt werden. In einem Mitarbeitergespräch hat sie Aufgabengebiete zugewiesen – z. B. Führung des recall-Systems, Patientenaufnahme, Durchführung und Kontrolle der Hygienemaßnahmen.
Die verantwortliche Helferin wird jetzt alle vier bis sechs Wochen nach ihrer Leistung überprüft. Die Betreuung der im Sprechzimmer wartenden Patienten durch die Mitarbeiterinnen wurde verbessert, d. h. die assistierende Helferin soll durch ein zugewandtes Gespräch, wie Fragen nach dem persönlichen Befinden oder 106 besonderen Erlebnissen des Patienten, diese in eine angenehme entspannte Atmosphäre versetzen.
Der Anamnesebogen wird bei dieser Gelegenheit regelmäßig aktualisiert. Frau Wiest kontrollierte ihre eigene oft etwas forsche Wortwahl den Patienten gegenüber und gibt ihnen jetzt bewusst Zeit Fragen zu formulieren und Bedenken zum Behandlungsvorschlag zu äußern. Frau Preuß in Quedlinburg gestaltet ihren Führungsstil den Mitarbeiterinnen gegenüber teamorientierter.
In Teamgesprächen geht sie mehr auf die Vorstellungen der einzelnen Mitarbeiterinnen ein und versucht, diese mehr in ihre Arbeitabläufe mit einzubeziehen. Den Patienten gegenüber konzentriert sie sich mehr auf ihre fachliche, zahnärztliche Kompetenz. Da sie ihre Praxis, die Wirtschaftlichkeit und den Zeitaufwand betreffend, noch effizienter führen will bringt sie den Patienten gegenüber klarer zum Ausdruck, dass zeitaufwendige Leistungen auch adäquat honoriert werden müssen.
Die psychische Inanspruchnahme durch ihre Patienten hat sie auf ein für sie akzeptables Maß zurückgeschraubt. Bei allem Mitgefühl für ihre teilweise sehr hilfsbedürftigen Patienten signalisiert sie jetzt deutlich, dass sie von diesen als Zahnärztin und nicht als Therapeutin aufgesucht werden will. So stellen wir beide abschließend fest, dass wir die Erfahrungen der gegenseitigen Visitation keinesfalls missen möchten und das Ergebnis für uns als sehr wertvoll erachten.

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